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Selbst Weltmeister Anand begreift die Siege des Norwegers nicht
Von Hartmut Metz
Die Taktik scheint harmlos. Überträgt man diese vom Schachbrett aufs Rasenschach, Fußball, sieht sie ungefähr so aus: Gemächlich wird der Ball hin- und hergeschoben, nichts scheint zu passieren, außer dass sich die eine Mannschaft langsam dem gegnerischen Tor annähert. Pure Langeweile! Kurz vor dem Einnicken der Fans geht es plötzlich ganz schnell, und der Ball zappelt im Netz!
Was manche Spitzenteams im Fußball auszeichnet, scheint Fußball-Fan Magnus Carlsen auf den 64 Feldern perfekt umzusetzen. Der Norweger avanciert immer mehr zum Lionel Messi seines Denksports. Wie der Torjäger von Barcelona garantiert er Punkte en masse. Beim Topturnier in Wijk aan Zee liegt der 22-Jährige nach zehn der 13 Runden meilenweit vor der Konkurrenz. 8:2 Zähler sammelte der bisher ungeschlagen gebliebene Carlsen und hält den Rekord von Garri Kasparow mit 10:3 Punkten an der holländischen Küste, durchaus für „machbar". Es wäre nicht die erste Kasparow-Bestmarke, die der junge Weltranglistenerste bräche.
Die Konkurrenz zeigt sich beeindruckt. Selbst der Weltmeister ringt nach Erklärungen. „Magnus sammelt die Punkten viel effizienter ein. Er gewinnt einfach jede Stellung. Ich finde das erstaunlich – und es ist ein großer Nachteil, wenn man mit ihm Schritt halten will", äußert Viswanathan Anand. Carlsens Mannschaftskamerad bei der OSG Baden-Baden spielte bisher ebenfalls ein großes Turnier in Wijk aan Zee – liegt aber dennoch mit dem dritten OSG-Star, Lewon Aronjan, und dem Amerikaner Hikaru Nakamura auf Platz zwei bereits 1,5 Punkte zurück.
Während Marathonmann Carlsen unscheinbare Siege nach fünf, sechs Stunden erkämpft, darf sich Anand immerhin mit der schönsten Partie des Turniers trösten – und das auch noch in nur 23 Zügen mit Schwarz gegen Aronjan. Dem Weltmeister gelang eine der grandiosesten Partien des neuen Jahrtausends, die den berühmten Opferpartien der Schach-Historie kaum nachsteht.
W: Aronjan S: Anand
1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 e6 5.e3 Sbd7 6.Ld3 dxc4 7.Lxc4 b5 8.Ld3 Ld6 a6 und Lb7 sind die gebräuchlichsten Fortsetzungen – aber letztlich mündet die Partie nach dem 10. Zug von Schwarz durch Zugumstellung in diese Variante. 9.0–0 0–0 10.Dc2 Als die zwei anderen Hauptfortsetzungen gelten 10.e4 und 10.b3. Damit machten beide Spieler schon ihre Erfahrungen: 10.b3 Lb7 11.Lb2 a6 Anand setzte so 2007 im spanischen Linares gegen Magnus Carlsen fort. (Aronjan hingegen bevorzugte 2008 in Jerewan gegen Boris Gelfand 11…Db8 12.Tc1 Td8 13.h3 a6 14.Se4 Sxe4 15.Lxe4 c5 16.Sg5 Lxe4 17.Sxe4 cxd4 18.Sxd6 Dxd6 19.Dxd4 Dxd4 20.Lxd4 f6 mit Ausgleich) 12.Se4 Sxe4 13.Lxe4 Sf6 14.Lc2 c5 15.dxc5 Lxc5 16.Sg5 Dxd1 17.Taxd1 Kh8 18.g3?! h6 19.Lxf6 hxg5 20.Lb2 Tac8 21.Tc1 Tfd8 22.Tfd1 Lf3 und Schwarz stand etwas besser. Lb7 11.a3 Tc8 a6 12.Sg5 Lxh2+ 13.Kxh2 Sg4+ 14.Kg1 Dxg5 15.f3 Sgf6 16.e4 Dh4 17.Le3 kam mit umgekehrten Farben zwischen Anand und Aronjan 2009 in Linares aufs Brett. 12.Sg5 c5! Das ist die von Anand vorbereitete Neuerung. Die Rechner geben Lxh2+ den Vorzug, was Aronjan aber analysiert haben dürfte. 13.Kxh2 Sg4+ 14.Kg1 Dxg5 15.f3! Sgf6 16.b4 und für den geopferten Bauern verfügt Weiß über gute Kompensation. Der c6–Bauer ist rückständig, und die schwarzen Bauern finden kaum aktive Felder. 13.Sxh7?! Unter dem Eindruck der Partie kommt das naheliegende 13.Lxh7+ stark in Betracht. Kh8 14.f4! Interessant ist g6 (cxd4 15.exd4 Db6 16.Le3 Sd5 17.Df2 Sxe3 18.Dxe3 Sf6 19.Dh3 g6 20.Lxg6+ Kg7 21.Lxf7 Txf7 22.Sxe6+ mit einigem weißen Vorteil gefällt weniger) 15.Lxg6 fxg6 16.Sxb5 Lb8 17.Sxe6 Db6 18.Sxf8 Sxf8 19.Sc3 cxd4 20.exd4 Dxd4+ 21.Df2 Dc4 22.Le3 Auch wenn Weiß über ein leichtes materielles Plus verfügt mit Turm und drei Bauern gegen zwei Figuren (8 gegen 7 Bauerneinheiten), sind die schwarzen Gegenchancen mit den Figuren, speziell des Läufers auf b7, nicht zu unterschätzen. Sg4 14.f4?! 14.h3 Lh2+ 15.Kh1 Dh4 16.Le4 (Nichts bringt Aronjan 16.d5!? Tfd8 17.Le2 Lb8 18.Lxg4 Se5 19.Le2 exd5 20.Kg1 Dxh7 21.Dxh7+ Kxh7. In dieser Position hat Weiß Mühe, seine Figuren ins Spiel zu bringen. 22.Sxb5 d4 23.exd4 cxd4 24.Td1 d3 25.Lf1 Tc2 und Schwarz steht aktiv.) Lxe4 17.Dxe4 f5 18.Dxe6+ Kxh7 19.Dxd7 cxd4 20.exd4 Lb8 21.Kg1 Lh2+ 22.Kh1 Lb8 führt zur Zugwiederholung, wie der griechische Großmeister Efstratios Grivas auf der Webseite von Software-Schmiede Chessbase analysierte. cxd4 15.exd4?! Ein weiterer unscheinbarer Fehler. 15.Sxf8 Lxf8 16.h3! ist deshalb wohl der einzige Rettungsanker: dxc3 17.hxg4 Sf6 18.Le2 Le4 19.Dd1 Sd5 20.Lf3 (20.Dd4 f5) c2 21.De2 Sf6 22.Dd2 Ld3 23.Tf2 Lc5 24.b4 Lb6 25.Ta2 Se4 26.Lxe4 Lxe4 27.Dxd8+ Lxd8 28.Kf1 kann Weiß vielleicht noch halten. Nach 16.exd4 Sdf6 17.Kh1 Dxd4 18.De2 g6! 19.Sxb5 Dd5! scheitert 20.Sc3 (20.f5 exf5 21.Sc3 Dd4 22.Lg5 Te8 23.Dd2 Te3!! 24.Lxe3 Sxe3 25.Tg1 Andere Fortsetzungen verlieren genauso. Sfg4 26.Tae1 De5 27.Txe3 Dxh2 matt) an Dh5 mit undeckbarem Matt: 21.h3 Dxh3+ 22.Kg1 Der g-Bauer war gefesselt durch den Läufer auf b7. Dh2 matt.
Lc5!! Der erste von mehreren Hammerzügen, die Anand entkorkt! 16.Le2? Die Rechner plädieren für 16.dxc5 Sxc5 17.Sxf8 Sxd3 18.h3 Dd4+ 19.Kh1 Sdf2+ 20.Txf2 Sxf2+ 21.Kh2 Sd3! (Kxf8 22.Dh7) 22.Sxe6 fxe6 mit nur leichtem Vorteil für Schwarz.
Sde5!! Der zweite Schocker, auf den ein Durchschnittsspieler nie käme. 17.Lxg4 Lxd4+ 18.Kh1 Sxg4 19.Sxf8 Noch am trickreichsten. 19.Sg5 f5! 20.h3 Tf6 21.Sf3 Th6 22.Dd2 Lb6 23.Dxd8+ Txd8 24.Sg5 Td3 und auf h3 bricht alles zusammen, weil der weiße Monarch nirgends die Fesselung des g-Bauern aufheben kann.
f5!! Der dritte fantastische Zug, der der Partie endgültig einen Platz in der Schach-Historie garantiert! Kxf8? 20.Dh7 gibt Weiß unnötige Gegenchancen. 20.Sg6 Df6 21.h3 21.Se5 Sxh2! 22.Td1 Dh6 23.Txd4 Sf3 matt; 21.Se7+ Dxe7 bietet nur Aufschub. Dxg6 22.De2 22.hxg4 Dh6 matt. Dh5 Td8 und Dh6 gefallen Computern noch besser. Anands Zug reicht jedoch auch völlig aus. 23.Dd3 23.Tf3 als beste Verteidigung endet ebenfalls mit einer Niederlage: Lxf3 24.Dxf3 Sf2+ 25.Kh2 Dxf3 26.gxf3 Sd3 27.Sxb5 Tc2+ 28.Kh1 Lf2 und Weiß büßt auf c1 eine Figur ein. Le3!
Das unterbricht die Deckung von h3. Weiß gab auf wegen 24.Lxe3 Dxh3+ 25.Kg1 Dxg2 matt. 0:1.
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