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Gemalt von Willi Neubert
Vorspann:
geboren am 5. Januar 1921 in Konolfingen im Kanton Bern. Sohn eines Pfarrers.
Gymnasium in Bern.
1941-45 Studium in Bern und Zürich – Theologie, Naturwissenschaften, Literatur und Philosophie.
Er versuchte sich mit der Malerei.
Zeichner und Theaterkritiker für schweizer Zeitungen. Man verlieh ihm 13 herausragende Preise.
Unabhängiger Schriftsteller.
Ab 1952 in Neuchâtel überarbeitete er ältere Werke und tragische Komödien.
Häufig schrieb er satirisch, schnurrig und schwarzen Humor.
Beeinflusst von Bertold Brecht.
Seine bekanntesten Werke:
"Der Besuch der alten Dame", "Die Physiker" und "Der Mitmacher" unter weiteren 30 Werken mehr im Format von Kriminalromanen, Hörspielen, Theaterstücken und Novellen.
Der Schachspieler von Friedrich Dürrenmatt
Eine Interpretation von Alexander Hartmann
Inhalt:
Ein junger Staatsanwalt geht zur Beerdigung seines Vorgängers, eines alten Staatsanwaltes, und lernt bei dieser Gelegenheit einen Richter näher kennen, welcher der Freund des verstorbenen Staatsanwaltes war.
Während die beiden im Leichenzug dahinschreiten, erzählt der Richter, er habe jeden Monat einmal mit dem Verstorbenen Schach gespielt.
Der Staatsanwalt meint, als sie sich schon dem Krematorium nähern, auch er sei ein Anhänger des Schachspieles.
Die beiden nehmen an der Trauerfeier teil, dann schreiten sie nicht weit hinter dem Sarg dem ausgehobenen Grab entgegen.
Der alte Richter fragt den jungen Staatsanwalt, ob er ihn nicht auch zu einer Schachpartie einladen könne.
copyright Henry Schwartz
Der Staatsanwalt nimmt die Einladung an, sie verabreden sich für den nächsten Sonnabend, die junge Frau des Staatsanwaltes ist ebenfalls eingeladen.
Zwar ist der alte Richter Witwer, doch führt seine Tochter den Haushalt.
Am nächsten Sonnabend trifft gegen sieben Uhr der junge Staatsanwalt mit seiner Frau beim alten Richter ein, der in einer stillen Villa wohnt, umgeben von einem grossen Park mit riesigen Tannen, alles in einer Vorstadt gelegen, wo nur die Reichen wohnen, im sogenannten "englischen Viertel".
Von den Tannen und Bäumen her noch Vogelgezwitscher, ferner letzte Sonnenstrahlen.
Das Abendmahl ist ausgezeichnet, die Weine besonders ausgesucht.
Nach dem Essen, begleitet die Tochter des Richters die Frau des Staatsanwaltes in den Salon; die beiden Herren ziehen sich in das Bürozimmer des Hauses zurück.
Das Schachbrett mit den Figuren ist hergerichtet.
Der Richter schenkt Kognac ein, beide sitzen sich gegenüber, aber bevor die Partie beginnt, bittet der Richter darum, ein Geständnis abzulegen.
Es sind schon 20 Jahre vergangen, als ich den alten Staatsanwalt kannte, der nun gestorben ist; also aufgrund des Ablebens wird er jetzt sein Nachfolger.
Er erzählt ihm, als er seinen Vorgänger kennenlernte, als er der Staatsanwalt war, dass sie eine ganz besondere Schachpartie spielen wollten:
"Die Schachfiguren bedeuteten bestimmte Personen, jeder Spieler konnte für sich auswählen, welche er wollte, und die Dame sollte jene Person sein, die die engste Verbindung zu ihm hätte; für den Staatsanwalt war es seine Schwester, die den Auftrag hatte, das Haus zu führen, nachdem seine Frau gestorben war, und für den Richter – seine Frau."
Die beiden Spieler verglichen die Läufer mit befreundeten Geistlichen oder Professoren, die Springer mit Rechtsanwälten oder Beamten, die Türme mit Unternehmern und Politikern, die Bauern wurden durch bescheidene Landwirte, das eigene Dienstpersonal oder den Milchmann dargestellt.
"Die Regel jener Partie bestand darin, dass jeder Spieler, der eine Figur verlor, die Person umzubringen hätte, die derjenigen Figur entsprach."
Man konnte erst wieder die Partie fortsetzen, wenn der Mord vollbracht war.
"Andererseits musste derjenige sich selbst umbringen, wenn er matt gesetzt würde. Das führte dazu, dass die Partie jahrzehntelang dauerte. Aus diesem Grund wurde jeder Zug über Monate genauestens analysiert."
Auf diese Weise hatte der alte Staatsanwalt mit dem Vorgänger des alten Richters über 15 Jahre gespielt, bis er ihn in eine Matt-Position brachte, wobei in Betracht zu ziehen war, dass er, wie sein Gegner, vorher die jeweilige Gattin umbringen musste.
Copyright José Manuel Terren Escriche
Wer nun dieses Spiel erfunden hatte, konnte man nicht feststellen, aber es musste wohl in der ursprünglichen Geschichte der Stadt zu suchen sein, doch immer zwischen dem jeweiligen Richter und Staatsanwalt.
Angesichts dieser Tatsachen, war seine erste Reaktion, so erzählt der alte Richter, sofort den Vorgänger des jetzigen Staatsanwaltes festzunehmen.
Aber dann konnte er doch nicht der Versuchung wiederstehen, ein neues Spiel zu beginnen:
Der Staatsanwalt bestimmte als die Dame seine Tochter, da seine Gattin bereits verstorben war "gemäss der Erfüllung der Regeln für dieses besonders Schachspiel" und der andere stellte seine junge Frau zur Verfügung.
Der Mord
Ab diesem Augenblick veränderte sich für ihn der Sinn des Lebens:
Durch das Schachspiel hatte er die Macht der Götter über bestimmte Personen bekommen, wobei sie sich gegenübersassen wie Arimahn und Ormuzd (aus der persischen Mythologie).
Zwanzig Jahre lang spielten sie auf eine tragische Weise, wobei sie um jede Figur einen "blutigen" Kampf entwickelten, aber gleichzeitig mit der Macht ausgestattet, wenn eine Figur verloren ging. Ich vergesse nie jenen Tag – um sich vor dem Schachmatt zu retten – als er seine eigene Gattin opferte – bis dann letztlich vor einer Woche der alte Staatsanwalt sich selbst umbringen musste, weil er mattgesetzt wurde.
Copyright Braulia Vidal Sarmento
Vielleicht mag es überraschen, dass die vollstreckten Morde während der letzten zwanzig Jahre niemals entdeckt wurden.
(Unabhängig davon, dass sie sehr sorgfältig ausgeführt wurden, wie der Richter mit einigen Beispielen beweist).
Das hatte seinen Ursprung darin, weil niemand diesen makabren Verdacht hegen konnte, dass hinter diesen Morden der eigentliche und aussergewöhnliche Grund eine abscheuliche Schachpartie war.
Der junge Staatsanwalt, vollkommen entsetzt, hörte sich das Geständnis des alten Richters an.
Der Richter lehnte sich zurück und aus dem daneben liegenden Zimmer hörte man die anregete Unterhaltung der zwei Frauen.
"Nun gut, Sie können mich jetzt festnehmen", sagte der Richter.
Der junge Staatsanwalt dachte nach und mit aller Ruhe stellte er die neben dem Brett stehenden Figuren wieder auf und auch die Dame auf ihren Platz.
"Ich stelle meine Frau zur Verfügung", sagte er.
Der alte Richter antwortete ihm:
"Ich stelle meine Tochter zur Verfügung" und setzte seine Dame auf ihr Feld auf dem Brett.
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Anmerkung:
Trotzt intensivster Bemühungen ist es nicht gelungen, den Interpreten dieser Erzählung ausfindig zu machen.
Sitges (Barcelona), im April 2011
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